Was ist ein Trauma?

Viele Menschen fragen sich was ein Trauma eigentlich ist und wie man ein Trauma definiert. Eine einfache Frage, die jedoch nicht so leicht zu beantworten ist.

Vor einigen Jahren noch als die Traumaforschung noch in den Kinderschuhen steckte, war die Definition recht klar.

Im Folgenden möchte ich Ihnen einige Trauma-Definitionen zeigen, die zwar auch heute noch ihre Richtigkeit haben, die man aber ergänzen und erweitern muss, um Trauma wirklich genauer verstehen zu können.

Hier also eine Auswahl:

  1. Ein Einbruch in die Grenzen von Menschen sich gegen äußere Stimuli zu schützen, der zu einem überwältigenden Gefühl der Hilflosigkeit führt (Freud).
  2. Traumatische Ereignisse sind außergewöhnlich, nicht weil sie so selten wären, sondern weil sie alle Anpassungsstrategien von Menschen überwältigen, mit dem Leben fertig zu werden… der gemeinsame Nenner in der Beschreibung ist ein Gefühl von intensiver Angst, Kontrollverlust und die Angst vor Vernichtung (Herman).

Die Bedeutung von Trauma ist inzwischen auch unter Laien sehr viel deutlicher geworden, allerdings denken die meisten Menschen immer noch an Katastrophen, Gewalt, Vergewaltigung oder schwere Unfälle, wenn sie an Trauma denken.

Trauma ist viel alltäglicher

Diese Enge in der Traumadefinition kann man heute jedoch klar verneinen. Auch andere Ereignisse, die normalerweise nicht als Katastrophe oder Gewalterlebnis eingestuft werden, können traumatisch sein.

Zuerst einmal muss man einen klaren Unterschied machen, zwischen einem traumatischen Ereignis und einer Traumatisierung. Nicht jedes traumatische Ereignis führt bei allen Menschen zu einer Traumatisierung. Andererseits gibt es eben Ereignisse, die normalerweise niemand als traumatische definieren würde, wie z.B. Operationen, eine schwere Geburt, ein Sturz, ein Zahnarztbesuch, eine Trennung oder andere Ereignisse, die einfach Teil unseres Lebens sind und die trotzdem traumatisch für Menschen sein können.

Peter Levine, einer der Pioniere der Körperorientierten Traumapsychotherapie, hat festgestellt, dass man ein Trauma nie an einem Ereignis festmachen kann, sondern nur an der Reaktion der Betroffenen. Deshalb ist seine Definition von Trauma auch wesentlich offener:

Zu viel                    –                            zu schnell          –                    zu plötzlich

Letztendlich tritt eine traumatische Reaktion ein, wenn das Bewältigungssystem eines Menschen vollkommen überfordert ist und er oder sie sich hilflos und überwältigt fühlt.

Außerdem unterscheidet man heute zwischen verschiedenen Traumata und diese Unterscheidung ist ein wichtiger Fortschritt, da viele Menschen Symptome haben, die nicht der klassischen Symptombeschreibung der psychiatrischen Handbücher entsprechen, aber trotzdem in ihrem Leben leiden.

Man unterscheidet zwischen folgenden Trauma-Kategorien:

  • Schocktrauma
  • Entwicklungstrauma
  • Sekundärtraumatisierung (Betrifft Helfer an Unfallstellen oder Katastrophengebieten oder auch Psychotherapeuten und ander Zeugen eines traumatischen Ereignisses)
  • Generationsübergreifendes Trauma (ein Krieg hat eine generationsübergreifende Wirkung aber auch eine Vergewaltigung und andere Formen von Gewalt)
  • Soziales Trauma (darunter versteht man traumatische Ereignsisse, die ganze Volksgruppen betreffen)

 

Hier möchte ich nur auf die ersten beiden Traumakategorien näher eingehen, weil diese für am meisten Menschen relevant sind.

Was ist ein Schocktrauma?

Als Schocktrauma definiert man ein einzelnes abgegrenztes Ereignis, das meist auch gut im Gedächtnis geblieben ist.

  • Kann während eines Augenblicks entstehen
  • Ist im Normalfall nicht Teil der Persönlichkeit, kann aber über Zeit oder durch Wiederholung in die Persönlichkeitsmuster integriert werden.

Wenn ich Sie frage, was Sie gerade getan haben als am 11. September 2001 die Flugzeuge in das World Trade Center geflogen sind, dann können Sie sich sehr wahrscheinlich daran erinnern. Ein traumatisches Ereignis wird meist unveränderlich im Gedächtnis gespeichert und verändert sich auch über die Jahre nicht. Alle anderen Gedächtnisinhalte verändern sich über die Zeit. Das merken Sie besonders, wenn Sie Tagebuch schreiben und dann nach einigen Jahren alte Einträge wieder lesen und dabei denken: „So war das doch gar nicht“. Das biographische Gedächtnis ist ein sich beständig veränderndes Konstrukt und leider nicht so glaubhaft, wie wir denken.

Ein Entwicklungstrauma hat meist vollkommen andere Auswirkungen auf die Person und  wird auch anders definiert:

Was ist ein Entwicklungstrauma?

Ein Entwicklungstrauma ist meist hoher Stress, der über längere Zeit anhält und oftmals damit verbunden ist, sich nirgendwo sicher zu fühlen. Dies führt zu weitaus gravierenderen Folgen, da Kinder unter solchen Umständen kaum die Möglichkeit sich „normal“ zu entwickeln. Ein Entwicklungstrauma greift meist sehr viel tiefer in die Persönlichkeitsstruktur und –entwicklung ein, als das ein Schocktrauma tut.

Folgende Folgen können aus Entwicklungstrauma entstehen:

  • Persönlichkeitsstörungen
  • schlechte Selbstregulation (Schwierigkeiten sich zu entspannen, mit Emotionen umzugehen, Bedürfnisse zu fühlen und diese adäquat zu erfüllen etc.)
  • Hohe und dauerhafte Aktivierung des Nervensystems (Dauerstress)
  • Oder ständiger Zustand in „Submission“( Unterwerfung): Schwierigkeiten sich abzugrenzen, Nein zu sagen, für sich einzustehen, andere zu enttäuschen etc.)
  • Wenig Modulationsfähigkeit des Nervensystems (starre und unflexible Reaktionen, Schweirigkeiten sich an neue oder unvorhergesehene Situtionen anzupassen etc.)
  • Wenig Stressresistenz
  • Beziehungsstörungen (Angst vor Nähe, Stress mit Sexualität, Vermeidungsverhalten, Zynismus, Ironie, Symbiotisches Verhalten oder inneres Allein-sein etc.)

 

Diese Unterscheidungen zwischen Schocktrauma und Entwicklungstrauma sind enorm wichtig für die Wahl einer passenden Therapie, da die Themen und Auswirkungen auf die Person sehr unterschiedlich sind.

Normalerweise denken bei dem Wort „Trauma“ alle an Schocktrauma, auch beziehen sich alle klassischen Traumatherapien auf die Arbeit mit Schocktrauma.

Im Normalfall hat man meist eine Vermischung von Entwicklungstrauma und Schocktrauma vor sich, die einen Wechsel zwischen verschiedenen Interventionen notwendig machen.

Im Alltag erkennt man eine Traumatisierung u.a. daran, wie Menschen über das traumatische Ereignis sprechen:

  • Es wirkt als hätte das Geschehen sich gerade erst ereignet
  • Als ZuhörerInnen fühlen uns unwohl beim zuhören
  • Man wird in den traumatischen Sog hineingezogen und traut sich nicht zu unterbrechen

 

  • Menschen sprechen oft  mit einer abgeflachten Stimme mit wenig oder keiner Modulation
  • Affektarmut – man sieht wenig Emotionen im Gesicht des Anderen
  • Menschen erzählen das Ereignis unangemessen, d.h. an unangemessener Stelle oder Ort oder mit unangemessenen Affekten wie z.B. lachen

oder

  • Die Betroffenen werden von Gefühlen überwältigt und können diese kaum noch in sich halten.

 

Ein Trauma erkennt man nicht am Ereignis

Noch einmal: Woran man keine vorliegende Traumatisierung erkennen kann, ist am Ereignis!

Trauma liegt im Nervensystem – also in der Reaktion des Menschen – und nicht im Ereignis. Man weiß bis heute nicht, warum manche Ereignisse für die eine Person traumatisierend sein können und für die andere nicht.

Man nimmt an, dass es mit folgenden Faktoren zusammen hängt:

  • die Fähigkeit zu Selbstregulation
  • Glaube
  • eingebunden sein in eine Gemeinschaft
  • Ressourcen im Leben
  • Ressourcen zum Zeitpunkt des Ereignisses

Zusammengefasst bezeichnet man diese Widerstandsfähigkeit als Resilienz

 Ein traumatisches Ereignis wird meist begleitet durch ein immenses Gefühl von Verlust. Dieser Verlust kann unterschiedliche Formen haben, oft werden einfach die verlorene Zeit und die nicht genutzten Möglichkeiten, die das Leben hätte bieten können betrauert. Sehr häufig findet sich ein Verlust von Sinn und dem Gefühl zu einer Gemeinschaft zu gehören. Gerade bei frühen Traumatisierungen gibt es viele Menschen, die mit einem „Alien“ Gefühl aufwachsen und sich immer als getrennt von anderen wahrnehmen.

Eines der größten Verluste ist der Verlust von Sicherheit und das Herausfallen aus den Selbstverständlichkeiten des Lebens. Man hat erfahren, dass das Leben sich plötzlich verändern kann und dies kann mit einem anhaltenden Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit verbunden sein. Dazu kommt, dass durch Entwicklungstrauma oftmals die Fähigkeit Hilfe zu suchen und anzunehmen nicht vorhanden ist. Dadurch wird das Gefühl von „außen vor sein“ noch verstärkt.

Gleichzeitig ist aufkommende Trauer oft auch ein Begleitzustand von therapeutischen Erfolgen. Onno van der Hart drückt dies wie folgt aus:

„Klienten empfinden Trauer nach jedem therapeutischen Fortschritt. Trauer ist die Brücke zwischen der Vergangenheit,
der Gegenwart und der Zukunft.“

Eine Traumatisierung ist allerdings nicht nur von Verlust begleitet, sondern auch von „Gewinn“. Diese bezeichnet man mit dem Namen „Traumatic Growth“(traumatisches Wachstum). Hierunter versteht man, dass traumatische Erfahrungen Menschen auch wachsen lassen, ihnen ein tieferes Verständnis für sich selbst und die Welt geben. Oftmals werden Menschen sensibler für sich und andere  und offener für die verschiedenen Dimensionen des Seins.

Im besten Fall ist ein traumatisches Ereignis wie ein Tor, während unserer persönlichen Heldenreise. Ein Tor, das wir durchschreiten können, um zu mehr Integrität, Wissen und Weisheit zu gelangen. In allen schamanischen Traditionen wird Trauma als eine Möglichkeit der Initiation in eine andere Welt gesehen und gehört zum Lebenslauf aller Schamanen.

Eine geglückte Traumaintegration erkennt man daran, dass die Betroffenen:

  • mit angemessener Gefühlsbeteiligung über das Ereignis erzählen können
  • dabei nicht dissoziieren, d.h. mit sich verbunden bleiben und
  • nicht von Erinnerungen und Gefühlen überrollt werden, d.h. innerhalb des „Window of Tolerance“ (Toleranzfenster) bleiben
  • dem Geschehenen einen Platz in der Vergangenheit zuweisen können
  • dem Geschehenen einen Sinn geben können
  • nicht mehr von dem Geschehene kontrolliert zu werden, sondern wieder wählen zu können